Rennbericht Grinduro Italy 2023

Er stürzte, stand auf und siegte. Das der Spoiler zu meiner Teilnahme beim Grinduro Italy in Punta Ala am 08.-10.09.2023.

Grinduro ist eine weltweite Gravel-Rennserie im Enduro-Format, welche dieses Jahr das erste Mal in Italien Halt machte. Und das nicht irgendwo in Italien, sondern in Punta Ala, in der wundervollen Maremma in der Toscana. Wer zu den treuen Bloglesern gehört, wird wahrscheinlich wissen, dass das meine zweite Heimat ist. Schon seit über 20 Jahren verbringe ich jedes Jahr mehrere Wochen und Monate hier und mittlerweile teile ich mit meiner früheren Partnerin eine Wohnung in Caldana.

Beim Grinduro geht es darum, dass man gemeinsam eine Runde mit dem Gravelbike abfährt und dazwischen gibt es vier Time Stages, wo die Zeit gemessen wird. Wer die tiefste Gesamtzeit erreicht ist der Sieger. Der Rest der Strecke dient dem Transfer, dabei kann man die schöne Landschaft geniessen und hat viel Zeit, um mit den anderen Fahrerinnen und Fahrern zu plaudern. Die Strecke in Punta Ala führte über 100 km und 1500 hm. Es gab auch noch eine verkürzte Strecke mit dem Namen Grindurito, bei welcher allerdings keine Rangliste geführt wurde.

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Das Grinduro in Punta Ala 2023 auf einen Blick.


Die Vorbereitung

Ich hänge nur noch sehr selten eine Startnummer an meinen Lenker. Aber wenn ich es tue, dann bereite ich mich gewissenhaft auf den Wettkampf vor. Ich fahre Rennen nicht zum Spass, sondern weil es Spass macht. Und das macht es nur, wenn die Form stimmt und das Material zuverlässig funktioniert. Meine lange Erfahrung als Rennfahrer in allen möglichen Disziplinen hilft mir sicher dabei, dass ich genau weiss, wie ich ein Rennen erfolgreich absolvieren kann. Und das ohne Trainingsplan, Pulsmesser und Wattmesser. Ich fahre einfach gerne Fahrrad und versuche dabei möglichst schnell zu sein. Die wichtigste Regel: Verbissenheit bringt nichts, Lockerheit ist das Geheimnis zum Erfolg!

Ich reiste eine Woche vor Rennstart an, damit ich genügend Zeit hatte, um noch ein bisschen zu trainieren und mich mit der Strecke vertraut zu machen. Ich gebe es zu, ich wollte meinen Heimvorteil natürlich nutzen und nichts dem Zufall überlassen. Die Streckenführung konnte man sich vorab als GPS-Datei herunterladen und ab Montag war der Kurs auch offiziell ausgeschildert. Wie vermutet kannte ich 90% der Strecke von meinen bisherigen Touren. Aber zwei Stages in Montioni fanden auf Wegen statt, die ich noch nie befahren hatte. Diese musste ich mir deshalb besonders genau anschauen.

Das Grinduro war gleichzeitig auch die Premiere in der Toscana für mein neues Rocky Mountain Solo Carbon 70, welches ich seit diesem Frühling fahre. Eine Vorstellung meiner schnellen Gravelfeile wird es in Kürze geben.

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Der erste Besuch in der Toscana für mein neues Rocky Mountain Solo Carbon 70.

Ich fuhr die gesamte Strecke am Montag ab. Dabei hatte ich einen ersten, wichtigen Eindruck bekommen, was mich am Renntag erwarten sollte. Die Kursführung wurde mit viel Liebe zusammengestellt und beinhaltete alle Trails, Schotterwege und Strassen, welche diese Region so atemberaubend schön machen. Die vier Stages waren sehr abwechslungsreich und es war klar, dass nur ein kompletter Fahrer eine Chance auf das Podest hatte.

Nach meiner Rückkehr habe ich einige Änderungen am Setup vorgenommen. Ich montierte breitere Reifen für mehr Grip und Pannenschutz. Vorne Pirelli Cinturato Gravel M 700x45C mit 26 PSI und hinten Cinturato Gravel H 700x45C mit 29 PSI. Da der Boden extrem trocken und rutschig war, fuhr ich einen ziemlich tiefen Luftdruck. Den Lenker nahm ich 5 mm höher, da ich für die technisch anspruchsvollen Abfahrten mehr Kontrolle brauchte. Und ich stellte die Klickpedalen weicher ein, damit ich in den schnellen, langgezogenen Kurven einfacher den Fuss vom Pedal nehmen konnte. Motocross-Style geht immer!

Am Mittwoch habe ich die beiden Downhill Stages in Montioni zusätzlich nochmals unter die Lupe genommen. Ich wusste, dass ich mit meinen Fähigkeiten genau hier schnell sein kann. Darum prägte ich mir sämtliche Linien genau ein und merkte mir alle wichtigen Brems- und Schaltpunkte.

Fahrerlager, Start, Ziel und Party waren auf dem Areal vom PuntAla Camping und Trail Center. Der Campingplatz liegt direkt am Meer und die Trails beginnen gleich nebenan im Wald. Diese Location hat sich schon längst einen Namen in der Bikeszene gemacht. Unter anderem haben sie 2016 ein EWS durchgeführt und organisieren auch sonst immer wieder coole Events.

Die meisten der nachfolgenden Fotos stammen übrigens von meiner Trainingsfahrt. Am Renntag hatte ich kein Telefon dabei, ich verzichtete auf jeden unnötigen Ballast. Und die offiziellen Fotografen waren leider nie dort, wo ich gerade war...

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Man muss die Italiener einfach lieben! :-)


Der Prolog

Am Freitagabend gab es einen freiwilligen Prolog. Bei diesem wurde ebenfalls eine Rangliste geführt, er zählte aber nicht zum Hauptrennen am Samstag. Die Strecke führte quer durch das Gelände vom Campingplatz, vorbei an Wohnwagen und Zelten. Dementsprechend waren zahlreiche Zuschauer an der Strecke und es herrschte eine richtig coole Atmosphäre.

Kurze und schnelle Rennen sind überhaupt nicht mein Ding (mal abgesehen von Downhill und Dual-Slalom), ich fuhr aber trotzdem mit. Es war eine gute Gelegenheit, um die Beine auf Betriebstemperatur zu bringen und zu sehen, wie die Konkurrenz so unterwegs ist. Wir fuhren den Kurs zuerst gemeinsam ab, damit wir wussten, wo es überhaupt entlang ging. Danach gab es Einzelstarts im 15 Sekunden Intervall.

Ich sprintete los, schoss in die erste Kurve rein und das Vorderrad rutschte mir weg... Während ich auf den Aufprall wartete, dachte ich: Verdammt, jetzt hast du so lange am perfekten Setup herumgetüftelt und nun verlierst du den Grip? Bääääääääämmm. Wer den Sturz von Mathieu Van der Poel an der diesjährigen Strassen-WM in Glasgow gesehen hat, ich habe ihn sozusagen kopiert. Ich schlitterte einige Meter über den Schotter und riss mir dabei das BOA-Verstellrädchen am Schuh ab. Schnell Aufstehen und sich nichts anmerken lassen... Bike-Check: Ein paar Kratzer, aber alles okay. Körper-Check: Viel Haut am rechten Schienbein verloren. Schuh-Check: Zum Glück war das BOA nicht gebrochen, ich konnte es wieder einklicken und es funktionierte. Ich fuhr die Runde noch zu Ende und machte mich dann gleich auf den Weg nach Hause, um das Bike und mich zu pflegen.

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Beach Party! Der Prolog führte direkt am Strand entlang. (Foto: facebook.com/visitpuntaala.bike)


Dieser Sturz hatte mich aber nicht aus dem Konzept gebracht, sondern mich eher noch zusätzlich motiviert. Ich kenne das aus meinen früheren Zeiten als Downhiller. Ab und zu brauchte es einen Sturz als Weckruf. Es ist jeweils wie ein Reset, danach weiss man wieder woran man ist, und dass man es jetzt einfach besser machen muss.

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Mein persönliches Souvenir vom Prolog...


Der Rennstart

Pünktlich um 09.00 Uhr standen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Startlinie und warteten auf den Countdown. Ein buntes Fahrerfeld machte sich auf den Weg in Richtung La Zinghera zur Stage 1. Die ersten Kilometer waren komplett flach und eigneten sich gut, um die Beine warm zu fahren. Sehr angenehm war, dass überhaupt keine Hektik herrschte, wir bummelten einfach gemeinsam über die Strasse. Kein Vergleich zu den klassischen Rennen, in denen sich gewisse Idioten schon in der Startphase völlig übermotiviert durch das Feld drängen müssen.

Nach etwa 40 Minuten erreichten wir den Start von Stage 1. Ich legte noch eine Pinkelpause ein, um überflüssiges Gewicht loszuwerden. Die Schuhe zog ich enger zu, um möglichst viel Power auf die Pedalen zu bringen. Ich war bereit, das Rennen konnte jetzt richtig beginnen!

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Hoch die Hände! Wir sind ready! (Foto: facebook.com/visitpuntaala.bike)

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Eigentlich wollte ich am Renntag cool aussehen...


Stage 1 (La Zinghera Hill Climb | 2.8 km / +160 m)

"Ein Rennen gewinnt man bergauf, nicht bergab". Diese alte Weisheit bleibt immer aktuell.

Ich wusste, dass diese Uphill Stage für die Gesamtwertung entscheidend sein wird. Wenn ich hier zu viel Zeit verliere, dann werde ich auch das Rennen verlieren. Ein Bergzeitfahren ist der pure Masochismus, da kann man sich unglaubliche Schmerzen zuführen...

Ich kannte den Anstieg nur zu gut, ich fahre ihn oft auf dem Rückweg von einer Biketour. Allerdings hatte ich ihn noch nie im Renntempo absolviert. Der Start war fliegend, man konnte einfach über die Schleife fahren und löste die Zeit automatisch aus. Ich ging motiviert, aber auch vorsichtig an die Sache heran. Ich wollte nicht überdrehen und wählte einen gleichmässigen Rhythmus. Ich konnte einige vor mir gestartete Fahrer überholen, von hinten kam aber niemand, das gab mir ein gutes Gefühl. Die Beine brannten, der Hals kratzte, der Puls hämmerte. Was für eine Quälerei... Das Ziel tauchte vor meinen Augen auf und ich setzte zum Schlusssprint an. Geschafft! Meine Leistung war okay, aber ich merkte sogleich, dass mehr drin gelegen wäre. Vielleicht hätte ich doch schneller starten sollen.

Direkt am Ziel gab es den ersten Verpflegungsstand und ich konnte meinen leeren Bidon (um Gewicht zu sparen) nun mit Wasser füllen. Viel Trinken war heute besonders wichtig, denn die Temperaturen sollten bis auf 34 Grad ansteigen!

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Der Start von Stage 1 war noch relativ flach, später folgte eine 15% Rampe...

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Verkackt... Über 2 Minuten Rückstand auf die Bestzeit sind eine Welt...


Der Transfer zu Stage 2

Nach der ersten Stage gab es einen langen Transfer vorbei an Caldana, Ravi, Gavorrano zur berühmten Baumallee in der Nähe von Cura Nuova. Der nächste Verpflegungsstand war bei Morisfarms, ein bekanntes Weingut in der Maremma. Leicht erhöht gelegen hat man einen wunderbaren Ausblick über die weite Landschaft. Obwohl es erst nach 11 Uhr war, hatte man ein grosses Buffet mit Spezialitäten aus der Region aufgetischt und natürlich auch eigenen Wein ausgeschenkt. Das mit dem Essen während dem Radfahren ist ja immer so eine Sache, normalerweise ernähre ich mich aus der Trikottasche mit Riegeln und Gels. Aber da es noch ein längerer Weg war bis zur Stage 2, gönnte ich mir einen Teller Pappa al Pomodoro. Das ist ein leckerer Brotauflauf, ein typisches Gericht aus der Toscana.

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Caldana, meine zweite Heimat!

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Mittagspause bei Morisfarms. (Foto: facebook.com/visitpuntaala.bike)

Ich machte nur eine kurze Pause, denn nun kam die Taktik ins Spiel. Ich wusste, dass es ein Problem sein wird, wenn ich in den bevorstehenden Downhill Stages zu fest im Pulk drin war. Da es keine Startintervalle gab, konnte die Chance sehr gross sein, dass ich in der Abfahrt andere Teilnehmer einhole, aber nicht überholen kann, weil der Platz dazu fehlt. Also drückte ich aufs Tempo und fuhr möglichst zügig zur Stage 2 rüber. Es war eine sehr abwechslungsreiche Strecke, vorbei an Massa Marittima und hin zum Monte Arsenti.

Dort ging es den Spaghetti Climb hoch, ein knackiger Singletrail mit vielen engen Kurven. Der Spaghetti wäre eigentlich eine perfekte Uphill Stage gewesen. Denn hier wären nicht nur starke Beine, sondern auch eine gute Fahrtechnik nötig gewesen. Wer weiss, vielleicht nimmt man den Anstieg ja im nächsten Jahr ins Rennen auf. Bei der Hütte der Trail Brothers gab es nochmals einen Verpflegungsstand. Wieder Wasser auffüllen und ein kurzes Gespräch mit Trail Brother Fabrizio, den ich schon einige Jahre kenne.

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Der Spaghetti Climb wäre eine coole Stage gewesen...


Stage 2 (Marsiliana Down Hill | 3.7 km / -140 m)

"Man kann bergab kein Rennen gewinnen, aber man kann es verlieren". Nach dieser Weisheit fahre ich bis heute meine Ausdauerrennen. Meine Schwäche bergauf kann ich mit meiner Stärke bergab kompensieren und daher gelingen mir trotzdem immer wieder gute Platzierungen.

Als ich zur Startlinie rollte, wurde ich wild winkend vom Streckenposten empfangen. Er teilte mir mit, dass die Strecke zur Zeit gesperrt ist, da ein Teilnehmer gestürzt war und mit der Ambulanz abgeholt werden musste.

Dieser Vorfall bestätigte leider meine Einschätzung von Stage 2. Als ich die Stage im Vorfeld abfuhr, hatte ich schon ein mulmiges Gefühl. Es ist ein breiter Römerweg, in der Mitte mit faustgrossen Steinen gespickt und an den Rändern liegt loser Schotter. Wenn man den Weg einfach runterrollt, ist es gar kein Problem. Aber wenn man hier attackiert, dann wird es gefährlich. Einerseits ist das Pannenrisiko relativ gross, da man vor den Kurven immer dieses Steinband in der Mitte kreuzen muss. Und wenn man mit hoher Geschwindigkeit in den losen Schotter kommt, dann braucht man eine sehr gute Fahrtechnik, um das Bike noch kontrollieren zu können.

So gab es eine längere Zwangspause, bis die Stage wieder freigegeben werden konnte. Fast zeitgleich mit mir kam noch ein anderer Teilnehmer zum Start. Wir kamen ins Gespräch, er stellte sich als Julien vor, ist Australier und arbeitet und wohnt in Rom. Nach und nach trafen immer mehr Fahrerinnen und Fahrer ein und der arme Streckenposten musste im Minutentakt die gleiche Geschichte erzählen und um Geduld bitten. Auf einmal gesellte sich Darcie zu uns, sie war im Prolog die schnellste Dame. Auch sie ist aus Australien und zur Zeit in Italien unterwegs, um Radrennen zu bestreiten. So war ich nun mit zwei Australiern irgendwo in der Maremma am Plaudern, während uns die Sonne auf den Helm brannte. Ich merkte wieder, wie sehr dieser wunderschöne Sport Leute aus aller Welt miteinander verbindet!

Nach über 30 Minuten gab der Streckenposten grünes Licht, es konnte weitergehen. Ich nutzte die Gelegenheit und ging als Erster auf die Stage. So hatte ich hier und vor allem dann in Stage 3 freie Fahrt. Obwohl der Garmin Computer eine Temperatur von 43 Grad anzeigte, waren die Beine mittlerweile abgekühlt.

Ich brachte meine kalten Beine in Schwung und ging zur Attacke über. Schon bald zeigte der Computer über 45 km/h an. Die Konzentration und der Tunnelblick waren sofort da, immer wichtig, um zu 100% bei der Sache zu sein. Ich wählte die klassische Rally-Kurventechnik, aussen-innen-aussen. Dabei musste ich bei jeder Richtungsänderung den Mittelstreifen mit den grossen Steinen queren. Ich verliess mich auf meine Bunny Hops und wechselte springend die Seiten. Die Reifen boten guten Grip, in einigen Kurven nahm ich zusätzlich den Fuss runter, um kontrolliert driften zu können. Irgendwann dachte ich: Warum bin ich eigentlich gestern gestürzt und heute jage ich mit 40 km/h durch die rutschigen Kurven? Zwischendrin gab es auch längere Tretpassagen, da schmerzten die Beine wieder und ich musste auf die Zähne beissen. Einfach die Geschwindigkeit immer hoch halten, dann kommt es gut. Das Schild noch 500 m bis zum Ziel tauchte auf und husch flog ich auch schon durch die Zeitmessung. Das war eine solide Fahrt, die Tretpassagen hätten besser sein können, aber die Kurven kann man wohl nicht viel schneller fahren.

Ich steuerte den Verpflegungsstand an, füllte wieder Wasser auf und gönnte mir einen Gel. Rasch ging ich weiter zur Stage 3, nach wie vor war niemand vor mir, ich sollte also weiterhin freie Fahrt haben.

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Stage 2 war kein Kindergeburtstag...

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Knappe Kiste... Viel hat nicht gefehlt für den Sieg in Stage 2.


Stage 3 (Montioni Jungle Singletrack | 3.8 km / +70 m, -80m)

Nun kam die Stage, die perfekt auf meine Fähigkeiten zugeschnitten war. Und es sollte mein Highlight werden, dazu später mehr. Ein klassischer toscanischer Singletrail durch den dichten Wald mit vielen Richtungswechseln und zwei kurzen Gegenanstiegen. Das Gefälle nicht zu steil, so dass man auch immer ein bisschen Mittreten muss.

Ich stellte wieder auf Tunnelblick um und sprintete los durchs Unterholz. Der Boden war hartgepresster Dreck, die Pirelli Reifen klebten perfekt darauf. Ich schoss über den Trail, ständig am Lenken, Kicken und Schalten. Die mehrfache Streckenbesichtigung zahlte sich nun aus, ich erwischte fast jede Kurve perfekt, hatte immer den richtigen Gang bereit und konnte voll auf Zug fahren. Zweimal hatte ich kurz Angst, ich drückte das Bike so hart in die Kurve, dass es mir fast den Hinterreifen von der Felge zog.

Die letzten Meter standen an, 3.8 km Singletrail sind ganz schön lang, wenn man ihn mit Vollgas durchbrettert. Ich überquerte die Ziellinie und musste zuerst mal einige Minuten anhalten, um den Puls runterzubringen. Ich hatte ein richtig gutes Gefühl, ob da wohl jemand schneller fahren kann als ich?

Ich rollte zur nächsten Verpflegungsstation und füllte meine Speicher wieder auf. Nun gab es wieder einen längeren Transfer bis zur letzten Stage. Ich wartete deshalb auf Julien, damit ich die Strecke nicht alleine fahren musste. Lange warten musste ich nicht, er kam schon bald um die Ecke mit einem riesigen Smile im Gesicht. Er schwärmte begeistert von dieser Stage und ich konnte ihm nur zustimmen, dass das richtig cool war. Genau wegen solchen Trails reise ich seit über 20 Jahren in die Toscana!

Wir machten uns auf den Weg ans Meer, nun folgte nochmals ein richtig schöner Abschnitt. Die Strecke führte quer durch Follonica nach Puntone und von dort auf den Schotterweg oberhalb der Küste. Wir pedalten locker in Richtung Stage 4, den Kopf immer nach rechts gedreht, um den super Ausblick auf das türkisblaue Wasser zu geniessen.

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Stage 3 war ein Traum! Man beachte den griffigen Boden.

grinduro_stage3jpgJawohl! Die Stage 3 gehörte mir!!

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Viel Meerblick auf dem Weg zur Stage 4.


Stage 4 (Le Api Downcountry | 1.7 km / +20 m, -30m)

Der Start von Stage 4 war in der Nähe der bekannten Strandbucht Calaviolina. Diesen Trail habe ich bestimmt schon über 100 Mal in beide Richtungen gefahren, ich kenne dort jede Wurzel und alle Linien. Speziell war allerdings, dass der Boden wegen der grossen Trockenheit ein einziger Sandkasten war. Auf Sand fahren ist sehr gewöhnungsbedürftig, wenn man damit nicht vertraut ist, dann eiert man einfach unkontrolliert durch die Gegend. Man muss wohl Cyclo-Crosser aus Belgien oder Holland sein, um mit solchen Bedingungen klarzukommen...

Ich löste die Zeit aus, brauste um die erste Kurve und wollte zu meiner ersten Geheimlinie ansetzen, da tauchte ein Netz aus Absperrbändern vor mir auf. Ich wurde wohl durchschaut... ;-) Sämtliche direkten Linien waren zugesperrt, stattdessen war der Trail sehr kurvig ausgesteckt. Obwohl ich den Trail kenne, war er jetzt doch ganz anders zu fahren. Aber kein Problem, ich fand mich schnell mit der Streckenführung zurecht und drückte aufs Gas. Nur dieser tiefe Sand machte mir zu schaffen. In den Kurven war ich immer zu spät dran mit Einlenken und genau beim Kurvenausgang fehlt der Schwung.

Alles in allem kam ich zügig ins Ziel, aber da wäre definitiv mehr möglich gewesen. Ich sah es gelassen, wenn ich meine Schwierigkeiten hatte, wird es meinen Konkurrenten wahrscheinlich nicht besser ergangen sein.

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Stage 4 noch ohne Absperrbänder. Im Rennen sah es hier anders aus...

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Naja... Ich hätte definitiv schneller sein können.


Die Zieleinfahrt

Nach Stage 4 wartete ich nochmals auf Julien und wir rollten gemeinsam zurück zum Campingplatz. Wir analysierten zusammen unser Rennen und kamen zum Schluss, dass wir beide happy sind und dass wir das Beste aus dem Tag herausgeholt haben. High Five unter dem Start-/Zielbogen, wir haben das Grinduro Italy überlebt!

Im Ziel war ein grosser Monitor mit Live Timing aufgestellt. Ich fand mich in diesem Moment ganz oben in der Rangliste, Führender meiner Alterskategorie 41-50 und Gesamtzweiter! Ob das wohl so bleiben würde?

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Julien und ich sind happy!

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Das Live Timing im Ziel hielt uns immer auf dem Laufenden.

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Yeah!! Ich habe das Rennen fahren noch nicht verlernt.


Die Siegerehrung

Am Abend fand die Siegerehrung statt und ich durfte mich bereits darauf freuen. An der Rangliste hatte sich nicht mehr viel geändert, ich hatte meine Alterskategorie gewonnen!

In der Gesamtrangliste rutschte ich noch einen Rang nach hinten und holte mir den 3. Rang. Gewonnen wurde das Rennen vom früheren XC-Profi Marco Aurelio Fontana. Auf den 2. Rang fehlten mir lediglich 3.81 Sekunden... Da sind dann wieder diese "hätte, wäre, wenn" Momente, wo man nicht weiss, ob man sich freuen oder ärgern soll.

Ausser bei Stage 1, war ich bei jeder Stage in den Top 3. In meiner Alterskategorie hatte ich sogar 3 von 4 Stages gewonnen. Die Bilanz kann sich sehen lassen!

Es fühlte sich grossartig an, wieder einmal zuoberst auf dem Podest zu stehen! Ich wusste, dass ich an diesem Rennen erfolgreich sein kann und es machte mich stolz, dass alles wie geplant lief.

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Numero Uno!!! (Foto: facebook.com/visitpuntaala.bike)

Nach den Ehrungen sagte die Speakerin, dass sie noch eine Überraschung verkünden darf. Es waren zwei offizielle Vertreter der Grinduro Rennorganisation vor Ort und diese hätten entschieden, dass die schnellste Dame und der schnellste Herr von Stage 3 ans Grinduro nach Kalifornien eingeladen werden.

Stage 3? Da war doch was... Die Australierin Darcie und ich wurden erneut aufgerufen und durften nochmals auf das Podest klettern. Wir beide werden uns am Grinduro California 2024 wieder sehen!!

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Darcie und ich wurden ans Grinduro California 2024 eingeladen! (Foto: facebook.com/visitpuntaala.bike)

grinduro_overalljpgUm 3.81 Sekunden den 2. Gesamtrang verpasst...

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Abgesehen von Stage 1 habe ich meine Alterskategorie dominiert!


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Meine Souvenirs vom Grinduro! :-)


Fazit

Das Grinduro Italy in Punta Ala hat gerockt! Ein Gravelrennen am schönsten Ort der Welt zu fahren und dieses auch noch zu gewinnen, es konnte für mich nicht besser sein!

Das Startgeld war mit 259 € sicher auf der höheren Seite. Dafür wurden uns mit dem Prolog am Freitag, dem Hauptrennen am Samstag und dem Hangover Ride am Sonntag drei organisierte Ausfahrten geboten, welche keine Wünsche offen liessen. Die Organisation war perfekt, wir wurden rundum gut versorgt und der ganze Event lief ohne grössere Zwischenfälle ab. Der Rennkurs beinhaltete alles, was das Gravelfahren so faszinierend macht. Es gab auf und neben der Strecke immer genügend Verpflegung, niemand musste Durst oder Hunger haben. Der Goodie Bag für die Teilnehmer war voll mit hochwertigen Produkten von Giro, Shimano, Evoc, usw. plus einer Flasche Rotwein. Zusätzlich gab es auf dem Festivalgelände gratis Kaffee, Gelati, Bikeservice und sogar richtige Tattoos.

Vielen herzlichen Dank Grinduro und PuntAla Trail Center! Ich komme wieder!! Aber zuerst fahre ich noch das Grinduro California 2024. :-)

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